Mary Wigman Archiv

Einem weltberühmten Tänzer und Choreographen wie Léonide Massine (1895 – 1979) kann man nicht mit wenigen Sätzen gerecht werden. Es verwundert also nicht, dass neben seiner Autobiographie My life in ballet bereits mehrere Bücher über ihn geschrieben wurden. Dennoch ist noch längst nicht alles über ihn gesagt worden, gibt es immer noch sehr viel zu erforschen. Einige seiner berühmtesten Choreographien für die Ballets Russes wie Parade von 1917 (mit dem Libretto von Jean Cocteau, der Musik von Eric Satie und der Ausstattung durch Pablo Picasso) haben natürlich schon längst im Zentrum der Forschungsinteressen gestanden. Ballette wie The three-cornered hat (Der Dreispitz, 1919) haben heute - immer noch oder wieder - einen Platz in den Spielplänen der Theater. Wenn man jedoch bedenkt, dass Massine über 100 Choreographien geschaffen hat, dann sollte eigentlich deutlich sein, dass sein Werk nur zu einem Teil bekannt ist und ein anderer Teil weiter erforscht werden kann und auch diese Choreographien vielleicht neu aufgeführt werden könnten.

Massine war ein überaus vielseitiger, innovatorischer Choreograph. Mindestens zwei große Forschungsgebiete der Tanzwissenschaft hätten Massine zum Thema und warten noch auf umfassendere Bearbeitung: Erstens die „Charakterkomödie, deren künstlerische Ausdrucksmittel er um viele Nuancen bereichert hat“ (Horst Koegler, Reclams Ballett Lexikon). Und zweitens das Sinfonische Ballett mit Werken wie Les Présages und Choreartium (1933).

Es sind immer die Archivalien, die auf die Forscher(innen) warten – und nicht umgekehrt. Ein Archiv zu Ehren Massines, eine aus vielen Quellen bereicherte Sammlung zur weiteren Erforschung seines Werks soll die Basis zukünftiger fruchtbarer Auseinandersetzung werden. Ein Anfang ist gemacht. In Köln, wo alles für ihn begann: Von Diaghilev als Nachfolger Nijinskys und im Hinblick auf die Rolle des Joseph in der Pariser Uraufführung des Balletts Josephlegende von Richard Strauss ausgewählt, reiste er mit Diaghilev Anfang Januar 1914 in der Bahn von St. Petersburg nach Köln, um dort auf die Ballets-Russes-Truppe zu treffen. Ein Massine-Archiv in Köln, wo 65 Jahre später nach seiner Welt-Karriere auch alles endete. Zumindest aus internationaler Sicht, nach welcher Köln die seinem letzten festen Wohnsitz in Weseke / Borken nächstgelegene Großstadt ist, weswegen in der englischsprachigen Wikipedia von 2005 bis 2009 „Cologne“ als Sterbeort angegeben war…

Wann wird ein(e) Forscher(in) die Wirkung Massines und der Ballets Russes in den 1930er Jahren anhand der zehn Alben umfassenden Pressedokumentation erforschen? Wann werden die an der Rekonstruktion vom Tanzerbe Interessierten die choreographischen Aufzeichnungen entdecken, die sich zu vielen Balletten Massines erhalten haben: zum Beispiel zu Le Beau Danube (Paris 1924) oder zum Sacre du Printemps mit Martha Graham in der Hauptrolle (1930) oder zur musical comedy Woof, woof! (New York 1929)?

Es sind immer die Archivalien, die auf die Forscher(innen) warten – und nicht umgekehrt…

Deutsches Tanzarchiv Köln