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Die Sacharoffs
Zwei Tänzer aus dem Umkreis des Blauen Reiters

Bei Tänzern verblaßt der Ruhm meist schon zu Lebzeiten oder kurz nach ihrem Tod. Was übrigbleibt, sind papierene Dokumente wie Photos, Programmzettel, Kritiken und aus neuerer Zeit auch manchmal einige wenige Filme. Anders bei den Sacharoffs; sie waren weltberühmt, und ihr Ruhm ist in Porträts in Museen und privaten Kunstsammlungen bewahrt, da sie mit vielen bildenden Künstlern ihrer Zeit befreundet waren. Das berühmteste Werk, Alexej von Jawlenskys Porträt des Tänzers Sacharoff von 1909, ziert Buchumschläge, ist auf Plakaten und Postkarten präsent, schmückt einen Münchner U-Bahnhof und das Zifferblatt einer Armbanduhr. In Memoiren, Tagebüchern und Briefeditionen sind Alexander und Clotilde Sacharoff und ihre zahlreichen Beziehungen zum kulturellen Umfeld ihrer Zeit vielfach verewigt.

Dennoch bleiben die Angaben zu Alexander Sacharoff und Clotilde von Derp, die Sacharoff 1919 heiratete, zumeist äußerst vage. Nach einer schmalen Ausstellungspublikation der 1960er Jahre ist nur eine einzige Monographie über die Sacharoffs (in italienischer Sprache) erschienen. Die Tanzforschung hatte es schwer, da der - trotz größerer Verluste in der Zeit eines unsteten, von ständiger Reisetätigkeit geprägten Künstlerlebens - umfangreiche Nachlaß noch zu Lebzeiten von Clotilde Sacharoff durch Schenkungen und Verkäufe aufgeteilt wurde: Das Stockholmer Dansmuseet, damals in Europa die einzige öffentliche Sammlung dieser Art, erhielt zahlreiche Kostüme, Photos und Zeitungskritiken; an das Musée de l’Opéra in Paris gingen ebenfalls Kostüme und Dokumente. Der Städtischen Galerie im Lenbachhaus München schenkte Clotilde Sacharoff die meisten der erhalten gebliebenen russischen Notizbücher ihres Mannes und einige Kunstwerke. Finanzielle Sorgen zwangen sie, etliche Arbeiten Jawlenskys aus ihrem Besitz, darunter das berühmte Porträt von 1909, an Museen und über Auktionen zu verkaufen, ebenso die Briefe des Dichters Rainer Maria Rilke (heute: Yale University) - nach Vernichtung allzu persönlicher Stücke. Eine ganze Ausstellung über die Sacharoffs wurde - auf unseriöse Weise, d. h. ohne die Eigentümerin und ihre Erben zu beteiligen - von einem Galeristen veräußert (heute: Archives de la Ville de Lausanne). Der Restnachlaß blieb jedoch am letzten Wohnsitz Clotilde Sacharoffs in Italien. Weitere Bestände, aus anderen Quellen, befinden sich heute in der Harvard Theatre Collection, Houghton Library, und der Jerome Robbins Dance Division der New York Public Library.

Kein Wunder, daß die Forschung es nicht leicht hatte und die Sacharoffs bisher nicht in angemessenem Maße gewürdigt wurden. Wenn ein Buch über München-Schwabing der relevanten Jahre zwar ein Kapitel über den künstlerischen Tanz enthält, Clotilde von Derp und Alexander Sacharoff jedoch völlig fehlen, während Laban und Wigman ausführlich und mit etlichen Photos aus Ascona und vom Lago Maggiore vertreten sind, dann ist dies eigentlich absurd und liegt zweifellos an der bislang schlechten Quellenlage. Diese Situation hat sich durch den Ankauf des Restnachlasses durch das Deutsche Tanzarchiv Köln Ende 1997 erheblich verbessert, dankenswerterweise ermöglicht durch die Förderung der KulturStiftung der Länder, der Stiftung Kunst und Kultur des Landes Nordrhein-Westfalen und der SK Stiftung Kultur der Stadtsparkasse Köln. Etwa 65 Kostüme, über 300 Bühnen- und Kostümzeichnungen und -skizzen, mehr als 500 Tanzphotos - darunter Aufnahmen von Hugo Erfurth, Sasha Stone, Brassaï, Hoppé oder d'Ora - sowie unzählige Programme und Kritiken, Autographen und eine Büchersammlung gehören zum Bestand.

Die im Herbst 2002 vorgelegte Monographie ist einerseits der tanzspezifischen Erforschung beider Tanzkünstler gewidmet, vor allem ihrer frühen Jahre bis zur Heirat 1919 - jener Zeit, als München für beide das Zentrum ihres Schaffens bildete, als Alexander Sacharoff als der erste solistisch auf den Konzertpodien tanzende Mann Aufsehen erregte und seine deutlich zur Schau gestellte Androgynität Stadtgespräch war und als ein junges Mädchen beifallsumstürmt zur Begründung des modernen Tanzes beitrug. Andererseits werden erstmals umfassend die zahlreichen Verbindungen zu den Künstlerfreunden untersucht: Alexander hatte zunächst in Paris bildende Kunst studiert und war auf Anraten seines Freundes Moissey Kogan 1905 nach München gekommen. Eng befreundet mit seinen russischen Künstlerkollegen Alexej von Jawlensky, Marianne von Werefkin, Wassily Kandinsky, Alexander Mogilewsky und Wladimir von Bechtejeff trat er 1909 der Neuen Künstlervereinigung München bei, aus der schließlich der "Blaue Reiter" hervorgehen sollte. In direktem künstlerischen Austausch mit fast allen prominenten Mitgliedern der Künstlergruppe fand er seine Berufung als Tänzer in ihrem Kreis. "Wir waren mehrere Jahre immer zusammen und er fast täglich bei uns. Seine ganze Ausbildung im Tanz hatten wir zusammen besprochen. Ich habe immer gesehen wie er tanzte. Er liebte und verstand meine Kunst sehr gut", erinnerte sich Jawlensky 1937. Und Kandinsky gibt über die Zeit des gemeinsamen Arbeitens an einem synästhetischen Gesamtkunstwerk mit Sacharoff und dem Komponisten Thomas von Hartmann Auskunft: "Der Musiker suchte aus einer Reihe meiner Aquarelle dasjenige aus, das ihm in musikalischer Hinsicht am klarsten erschien. In Abwesenheit des Tänzers spielte er dieses Aquarell. Dann kam der Tänzer dazu, ihm wurde das Musikstück vorgespielt, er setzte es in Tanz um und sollte danach das Aquarell erraten, das er getanzt hatte." 

Auch Clotilde stand mit Künstlern in engem Kontakt. Der Bildhauer Georg Kolbe schrieb ihr 1916: "Zweifellos sind Sie für mich die erste Tänzerin Deutschlands. Ja, ich hatte bis heute nicht geglaubt, dass es bei uns eine solche Tänzerin geben kann"; dem Bildhauer Hermann Haller stand sie Modell, und über ihre Freundschaft mit Jawlensky berichtet sie in ihren unveröffentlichten Memoiren: "Jawlensky hatte Freude daran, mich zu schminken. Er malte einen roten Kreis auf meine Stirn und eine sehr kräftige braune Linie auf meinen Nasenrücken. Ich ähnelte einem seiner berühmten Köpfe."

Das Buch, die Ausstellung, die begonnene Erschließung des Nachlasses im Deutschen Tanzarchiv Köln / SK Stiftung Kultur und die Webseiten sollen Leben, Werk und künstlerisches Umfeld dieses faszinierenden Tänzerpaars für die Forschung dokumentieren helfen und einer größeren Öffentlichkeit bekanntmachen.

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