English Version
 
zurück

Rezension von Horst Koegler

Stuttgart, 21.12.2002, erschienen im koeglerjournal auf tanznetz.de

Das Buch: „Die Sacharoffs – Zwei Tänzer aus dem Umkreis des Blauen Reiters“
 

Ein fabelhaftes Buch, das wahrlich eine grosse Rezension in „the world´s leading dance magazine“ verdiente, wenn es denn ein solches gäbe – dessen Erscheinen hier indessen nur stichwortartig angezeigt werden kann! Es heisst „Die Sacharoffs – Zwei Tänzer aus dem Umkreis des Blauen Reiters“. Herausgegeben haben es Frank-Manuel Peter und Rainer Stamm, und erschienen ist es im Wienand Verlag, Köln. Es ist das Begleitbuch zu der in Zusammenarbeit mit dem Paula Moderson-Becker Museum in Bremen veranstalteten Ausstellung über die Sacharoffs, die noch bis zum 23. Februar 2003 im Deutschen Tanzarchiv in Köln zu sehen ist und dann vom 27. März bis zum 22. Juni in der Münchner Villa Stuck. In deutscher und englischer Sprache, 272 Seiten stark, überaus opulent mit farbigen und schwarz-weissen Fotos ausgestattet, auf feinstem Papier gedruckt, grafisch ansprechend aufgemacht, kostet es in der Ausstellung 25 € - ein Schnäppchen! – und ist auch im Buchhandel für 48 € ausgesprochen preiswert.

Es vermittelt ein ungemein anschauliches Bild von Alexander Sacharoff (1886 bis 1963) und Clothilde von Derp (1892 bis 1974), die zunächst als Solotänzer und dann auch zusammen als Paar in den zehner und zwanziger Jahren in halb Europa auftraten, später noch bis Ende der vierziger Jahre Tanzabende in aller Welt veranstalteten und während ihrer letzten Jahre als Pädagogen in Rom und Siena tätig waren. Er stammte aus der Ukraine und kam über die Malerei zum Tanz, sie war aus Berlin gebürtig – sie trafen in München aufeinander, und gehörten dort zu den Mitgliedern der Neuen Künstlervereinigung, das heisst zum Freundeskreis um Kandinsky, Jawlensky, Werefkin, Münter und Hartmann (das ist der Komponist, der Mussorgsky zu seinen „Bildern einer Ausstellung“ inspirierte) – mithin zur Bohème von „München leuchtet“. Die zeitgenössischen Zeugnisse über ihre Auftritte, ergänzt durch die reiche Bildausstattung, ergeben eine faszinierende Lektüre (und lassen einen vor Neid erblassen angesichts der literarischen Qualität der Beiträge – kein Wunder, da auch ein Rilke zu ihren Bewunderern gehörte). Sie pflegten einen hoch ästhetischen, preziös-manieristischen, spiritualistischen Stil, der seine besondere und ganz persönliche Note durch Sacharoffs ostentative Androgynität erhielt (den Patrizia Veroli in ihrem Essay „Der Spiegel und die Hieroglyphe“ minuziös analysiert). Zu vergleichen sind sie wohl am ehesten mit dem Paar Ruth St. Denis und Ted Shawn – nur sind sie in der internationalen Tanzpublizistik längst nicht so berühmt wie ihre gleichzeitigen amerikanischen Kollegen. Das könnte und sollte sich ändern – nicht zuletzt durch die Doppelsprachigkeit dieses mit so ausgesprochener Liebe konzipierten Buches. Wirklich gewürdigt wird es wohl erst werden, wenn die amerikanischen Propheten der Gender-Diskussion entdecken, welch ein ihnen bisher unbekanntes Quellenmaterial hier zur Verfügung steht. Für mich jedenfalls unstreitig das schönste Tanzbuch des Jahres!

nach oben