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Rudolf von Delius

Alexander Sacharoff (1913)1

Sehr primitive Urgefühle der Menschheit mischen sich in Alexander Sacharoff mit sehr spätem Raffinement. Einmal ist er fein, überlegen, verwöhnt: ein Kulturgenießer; dann überfallen ihn die Schauer uralter religiöser Demut. Das nervöse, zarte Einfühlungsvermögen der Russen findet sich auch hier. Sacharoff interessiert sich etwa für das Barock, aber stellt nun nicht sachlich irgendeine Barockfigur dar, er erlebt höchst subjektiv, ja ironisierend den Extrakt dieser Epoche und gestaltet das dann in einer grotesk-aparten Figur. Aber es ist das nicht etwa höhnische Karikatur, ein enorm ästhetisches Empfinden vergrößert nur das künstlerisch Reizvolle in jubelnder Laune. Und nun tanzt Sacharoff diese Gestalt: wie eine aufgezogene Puppe mit Holzgelenken bewegt er sich in grotesk-schalkhafter Pedanterie. Ein ganz moderner sensibler Mensch legt sich die fremde Kultur an wie einen Putz. Spielt mit ihr und nimmt sie doch ästhetisch ganz ernst. Bei den Rokoko-Illustrationen Beardsleys ist der Vorgang ein ähnlicher.

Oder die Griechen! Da stehen wir auf dem Mutterboden aller Tanzkunst. Sacharoff kennt die Griechen genau, aber er verwendet die Motive der Vasen, Plastiken und Schilderungen in ganz freier Weise, zusammenkomponiert zu einer eigenen, neuen Architektur. Er tanzt etwa den Schwerttanz. Schwarz ist der Hintergrund, in kurzer, grellroter Tunika stürmt der Tänzer herein, ein Silberschwert in der Hand. Und nun läßt er uns die ganze morgenhelle Frische eines lustigen antiken Kampfspiels erleben. Hie und da spürt man deutlich Anklänge an das Original: ein weites Vorwärtsspringen mit gestreckten Beinen etwa ist aus Amphorafriesen bekannt. Aber das Ganze ist doch wieder russisch modern: dieser Dreiklang von Rot, Schwarz und Silber.

Der Gipfel von Sacharoffs bisheriger Kunst liegt aber dort, wo er sein eigenes Herz sprechen läßt. Und das ist: altrussische Religion. Die Orgel spielt, ein Goldbrokatvorhang bildet den Hintergrund, der Tänzer erscheint in schwerem farbigen Kleid. Palestrinas Choral ertönt. Und es beginnt ein feierlicher Gottesdienst der Bewegung. Ein wuchtiges, ernstes Schreiten, ein zierliches, anmutig-ergebenes Sich-Neigen, ein Grüßen, ein Ausweichen und Entgegenkommen. Scheu, Ehrfurcht und Dienen ist in zarte Grazie gebannt. Und dann das Schönste: ein tiefes Sich-Beugen des ganzen Menschen bis in den Staub, ein Zusammenbrechen in Hingabe und Anbetung. Wie Johannes unter dem Kreuz, bricht in wunder und doch milder Qual der Körper zusammen. Feierliche Pracht neigt sich bis zur Vernichtung. Doch der Schmerz ist durchglüht und erleuchtet von reinster Schönheit.


1 Erstveröffentlichung bisher nicht ermittelt, wahrscheinlich 1913. Abdruck nach: Rudolf von Delius: Mary Wigman, Dresden 1925, S.16–17.

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